Endogener/exogener Jahresrhythmus

Allgemeine Fragen und Themen über europäische Ameisenarten (hier keine Berichte)
Sahal
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#9 AW: Endogener/exogener Jahresrhythmus

Beitrag von Sahal » 13. Dezember 2008, 18:00

Hola,

auch wenn ich ungerne nen Faden ausgrabe, so juckt es mich doch in den Fingern...

Bis jetzt dachte ich immer die Frage zur konsekutiven Dormanz und prospektiven Dormanz, wären bei den Ameisen klar abgesteckt.
Ui, da hat jemand Wikipedia gelesen :-)
Es gibt eine klare Linie zwischen endogen und exogen ausgelöster Winterruhe!
Nur sollte man zwischen dem "Verhalten zur Vorbereitung der Winterruhe" und der "Winterruhe" streng trennen!
Nun haben hier aber zwei Halter unabhängig voneinander bei Lasius niger und Lasius cf niger andere Beobachtungen machen können!
Nö, es sind exakt die gleichen Beobachtungen: Lasius niger hielt die Zeit für gekommen, sich auf den Winter vorzubereiten, sind jedoch NICHT in die Winterruhe gegangen!

Der augenfälligste Unterschied zwischen einem endogenen und exogenen Jahresrhytmus ist nicht die Vorbereitung Schrägstrich Einleitung der Winterruhe, sondern die tatsächlich gehaltene Winterruhe des Volkes Schrägstrich der Individuen Schrägstrich der Larven Ausrufezeichen
Endogen = sie gehen unabhängig von der momentanen Temperatur in die Winterruhe
Exogen = sie bereiten sich auf die Winterruhe vor, wenn sie das Sommergeschäft abgeschlossen haben bzw der genetisch verankerte Sommer beendet ist... die eigentliche Winterruhe beginnt aber erst bei entsprechenden momentanen Temperaturen.

Endogen + Exogen: je höher die Sommertemperatur, desto schneller ist das Sommergeschäft abgeschlossen, desto eher beginnt die Vorbereitung zur Winterruhe!

Camponotus ligniperda/herculeanus halten eine (genetisch verankerte) endogen gesteuerte Winterruhe, dh sie werden auch bei 30°C im Schatten eine tatsächliche Ruhephase einhalten, mit allen erforderlichen Verhaltensmustern. Beendet wird diese erst nach einer m.o.w. festgelegten Zeitspanne, wenn die Temperaturen es zulassen.
So konnte gezeigt werden, dass Völker aus dem hohen Norden auch in wärmeren Gefilden (Labor) dann in die Winterruhe gegangen sind, wenn in ihrem Herkunftsland (!) die Zeit angebrochen war.

Jedoch spielt auf Umwegen die Temperatur sehr wohl eine Rolle...
Ameisen scheinen allgemein zu messen, welcher Stoffwechsel stattgefunden hat bzw welche Arbeit verrichtet wurde bzw welche Zeit theoretisch bei gewohnten Temperaturen verstrichen ist (innere Uhr).
Bei hohen Temperaturen "vergeht" die Zeit der wechselwarmen Tiere schneller, bei niedrigen Temperaturen langsamer.
So konnte ich den "Sommer" von Camponotus ligniperda auf schlappe 3 Monate verkürzen, indem die Haltungstemperatur hoch angesetzt wurde.
Gleiches gilt auch für (alle, einige, viele?) andere nordeuropäische Arten mit Winterruhe. So gehen zB Lasius niger sehr frühzeitig in die VORBEREITUNG zur Winterruhe, wenn die Sommertemperaturen zu hoch angesetzt sind (August war die Spitze bei mir) und die genetisch verankerte Zeit des Winters theoretsch angebrochen war.... die eigentliche Winterruhe beginnt jedoch erst, wenn die Temperaturen den Winter auch wirklich anzeigen.

Durch eigene Versuche vermute ich keine hauptsächliche Steuerung durch Tageslänge oder andere herbstliche Faktoren... denn bei mir im Mai zur Ruhe gehende Völker sollten eher fett auf den Sommer gewartet haben... war aber nicht, die wollten faul pennen gehen! Auch fraglich, wie überwiegend unterirdische Arten wie Lasius flavus die Tageslänge zuverlässig messen können und diese Info im Volk verbreiten.

Fazit: die Vorbereitung zur Winterruhe läuft bei allen Arten wohl nach der inneren Uhr, und diese ist vor allem Temperaturabhängig!
Die eigentliche Winterruhe jedoch wird unterschiedlich ausgelöst und gehalten.
Nicht zu vergessen auch: das Volk ist kein Organismus, der eine Winterruhe hält... es sind die Individuen aller Entwicklungsstufen!
Und selbst wenn das Volk kaum Aktivität zeigt, so können die Individuen noch fett im Geschäft sein!

Noch als Warnung: selbst wenn ein Volk ohne Winterruhe wieder anfängt, Brut zu erzeugen und zu füttern, so zeigen sich doch über kurz oder lang die Folgen der fehlenden und notwendigen Winterruhe.


Wenn die Flinte ins Korn gefallen ist, nicht gleich das Kind in den Brunnen werfen, auch wenn das der Tropfen ist, der dem Fass die Krone ins Gesicht schlägt!

PHiL
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#10 AW: Endogener/exogener Jahresrhythmus

Beitrag von PHiL » 13. Dezember 2008, 18:08

Sahal hat geschrieben:Camponotus ligniperda/herculeanus halten eine (genetisch verankerte) endogen gesteuerte Winterruhe, dh sie werden auch bei 30°C im Schatten eine tatsächliche Ruhephase einhalten, mit allen erforderlichen Verhaltensmustern. Beendet wird diese erst nach einer m.o.w. festgelegten Zeitspanne, wenn die Temperaturen es zulassen.

Jetzt mal eine ganz doofe Frage: Muss man die Tiere an kältere Orte stellen, trotz dass sie auch bei normaler Zimmertemperatur Winterruhe halten?



Sahal
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#11 AW: Endogener/exogener Jahresrhythmus

Beitrag von Sahal » 13. Dezember 2008, 18:40

Hey und Hola,

absolut keine doofe Frage, sondern höchst interessant und bisher wohl unerforscht!

Nur aus eigenen Versuchen:
die Verluste unter den Larven und Imagines haben bei C. herculeanus in warmer Ãœberwinterung gegen Mitte/Ende der Winterruhe rapide zugenommen. Bei C. ligniperda weniger stark bis kaum merklich.
Vermuteter Grund:
C. herculeanus verschließt obligatorisch das Nest und lebt ausschließlich von den gebunkerten Reserven. Diese sind aber nur ausreichend für die winterliche Zeit bei kalten Temperaturen und herabgesetztem Stoffwechsel + kurze Zeit nach dem Erwachen mit evtl knappen Nahrungsangebot. Bei hohen Temperaturen jedoch erhalten die Larven Erhaltungsfutter, zusätzlich verbrauchen die Imagines Nahrung!
Sind die Reserven dann ausgeschöpft, werden Larven als Notreserven geschlachtet oder verhungern.
C. ligniperda jedoch verschließen das Nest nicht obligatorisch und gehen bei entsprechenden Temperaturen und Nahrungsbedarf auf die Suche nach Nahrung, zeigen also zur NOT durchaus gewisse Aussenkativitäten.

Über Spätfolgen kann ich herzlich wenig sagen, jedoch sind nach drei aufeinanderfolgenden warmen Überwinterungen keine ersichtlichen Nachteile im Vergleich zu "korrekt" überwinterten Völkern aufgefallen. Aufgrung meines Umzuges musste ich leider die Versuche abbrechen :-(

Aber bitte beachten: dies sind eigene Beobachtungen und Versuche!
Zu vermuten bleibt auch, dass die Imagines eine kürzere Lebenszeit haben, da sie schneller "verschleißen".
Weiterhin ist es fraglich, ob unter warmer Überwinterung Geschlechtstiere gebildet werden können.


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Imago
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#12 AW: Endogener/exogener Jahresrhythmus

Beitrag von Imago » 14. Dezember 2008, 13:19

Um noch einmal auf die Winterruhe einzugehen.

Natürlich lässt sich das unter wissenschaftlichen Aspekten, bestimmt nicht auf die breite Masse aller Lebewesen ummünzen und wenn doch, ist es nicht erforscht oder bewiesen. Jedoch belegen Forschungen das ein langsamer Stoffwechsel auf ein längeres Leben schließen lässt.

In der Winterruhe fahren die Ameisen ihren Stoffwechsel nun sehr stark herunter.
Ist das Vielleicht der Schlüssel zu einem verhältnismäßig langen Leben dieser Tiere? Dazu beitragen würd es alle Mal. Könnte man denn grob einheimische Camponotus mit exotischen vergleichen?

Es ist natürlich bedauernswert das sich gerade hier eine so große Lücke auftut. Schließlich beeinflusst die Wineterruhe ca. die Hälft des Lebens einer europäischen Ameise. Und evtl. prozentual gesehen noch viel mehr, wenn man sie warm (bei Zimmertemperatur) überwintern lässt.

Endogen = sie gehen unabhängig von der momentanen Temperatur in die Winterruhe
Exogen = sie bereiten sich auf die Winterruhe vor, wenn sie das Sommergeschäft abgeschlossen haben bzw der genetisch verankerte Sommer beendet ist... die eigentliche Winterruhe beginnt aber erst bei entsprechenden momentanen Temperaturen.


Ich finde dieses ist endlich mal eine sehr schlüssige Erleuterung und Erklärung um mal auf das eigentliche Thema zurück zu kommen. Somit ist meine ursprüngliche Frage geklärt, danke Sahal!

Leider sind aber weitere Fragen aufgekommen um noch einmal auf die nicht vorhandenen Langzeitstudien aufmerksam zu machen. Ich habe mich natürlich, als ich mir eine Camponotus ligniperda Gyne gekauft hab, Gedanken über die Überwinterung gemacht, mir war klar das ich die Temperatur senken werde, jedoch würde mich auch interessieren welche Auswirkungen das auf die Ameisen hat, wenn ich das nicht täte. Mir ist das Risiko jedoch zu hoch zu experimentieren, außerdem bräuchte ich noch mind. 2 Vergleichsvölker der gleichen Taxonomie. Fahren denn Camponotus ligniperda denn ihren Stoffwechsel selbst bei Zimmertemperatur im Winter runter? Traube etc. bildet sich das ist klar, doch ist es denn nötig für die Ameisen ihren Stoffwechsel herunter zu fahren, wenn sie die möglichkeit haben futter aufzunehmen?

LG Imago



Sahal
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#13 AW: Endogener/exogener Jahresrhythmus

Beitrag von Sahal » 14. Dezember 2008, 14:34

außerdem bräuchte ich noch mind. 2 Vergleichsvölker der gleichen Taxonomie.
Himmel hilf, ich will doch hoffen, dass die Taxonomie in Zukunft gleich bleiben wird und brav Kalles binominaler Nomenklatur folgt!
Oder meinst Du Völker der gleichen Art/des gleichen Taxon?

Könnte man denn grob einheimische Camponotus mit exotischen vergleichen?
Grundsätzlich sind Verallgemeinerungen zwischen Arten oder Gattungen nicht zulässig! Der meist gehasste Auspruch eines Freundes lautet: "Unbekannt, das ist von Art zu Art verschieden!"
So gibt es ja selbst bei den beiden darauf hin untersuchten Arten C. ligniperda und C. herculeanus Unterschiede!
Jedoch ist es denkbar, dass Camponotus einen endogenen Jahresrhytmus hat... als weiteres Beispiel folgen Camponotus gigas einem eigenen Jahresrhytmus zur Kopulation, der nicht streng den Jahreszeiten folgt.

Es ist natürlich bedauernswert das sich gerade hier eine so große Lücke auftut.
So riesengroß ist die Lücke gar nicht, nur einige spezielle Themen (für mehrere Arten) sind noch nicht erforscht, wenn auch teils durch Labor- und Freilandbeobachtungen der Wissenschaftler bekannt oder naheliegend.
Die große Frage lautet immer: wer soll die Forschung bezahlen, und was bringt sie letztendlich?
Evtl werden sich aufgrund der wärmeren Winter in Zukunft einige Forscher auf dieses Thema schmeißen.

Traube etc. bildet sich (bei Zimmertemperatur) das ist klar
Ne, eben nicht :baeh:
Bei Zimmertemperatur bilden weder C. ligniperda noch C. herculeanus obligatorisch typische Trauben. Dieses Verhalten ist stark an die Temperatur gekoppelt! Leider habe ich die Daten zZ weder zur Hand noch im Kopp, aber irgendwo im Forum sollte es vergraben liegen!

doch ist es denn nötig für die Ameisen ihren Stoffwechsel herunter zu fahren, wenn sie die möglichkeit haben futter aufzunehmen?
Es kann im Winter auch bei ->12°C nicht davon ausgegangen werden, dass die Kleinen Nahrung finden! Und es wäre doch evolutionärer Suizid, wenn die Völker ihre Reserven verschleudern würden!
Zudem ist der Stoffwechsel an die Temperatur gekoppelt... entscheidend ist bei diesem Thema eher der Nahrungsverbrauch/-umsatz! Und der ist während der Winterruhe stark gedrosselt!


Wenn die Flinte ins Korn gefallen ist, nicht gleich das Kind in den Brunnen werfen, auch wenn das der Tropfen ist, der dem Fass die Krone ins Gesicht schlägt!

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#14 AW: Endogener/exogener Jahresrhythmus

Beitrag von Imago » 15. Dezember 2008, 13:29

Hi Sahal!

Erts einmal vielen Dank für Deine wirklichen wichtigen Informationen, die denke ich schon mal Licht ins Dunkle bringen!

Ich dachte man schreibt: "gleiche Taxonomie".
Also naklar, ich meinte schon Völker der gleichen Art/des gleichen Taxon!

Laut Bert Hoelldobler:
2o Camponotus ligniperda undCamponotus herculeanus bilden während der Winterszeit auch bei höheren Temperaturen eine Wintertraube.

Auszug aus diesem Link:
SpringerLink - Journal Article


Z.B. Camponotus ligniperda und C. herculeanus werden auch bei normalen Zimmertemperaturen (um 20°C) inaktiv, fressen kaum noch etwas und hocken dicht gedrängt im Nest, sie haben einen „endogenen Jahresrhythmus“ (B.Hölldobler 1961: Temperaturabhängige rhythmische Erscheinungen bei Rossameisen; Insectes soc. 8, 13-22). Nach Ablauf von 5-6 Monaten werden sie „von alleine“ wieder munter.

Auszug aus diesem Link:
- ANTSTORE World of Ants - • Thema anzeigen - Winterruhe

Ja was ist denn nun wirklich richtig? Man liest es mal so (wie hier zitiert), und mal so (wie Sahal schreibt)!

LG Imago



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#15 AW: Endogener/exogener Jahresrhythmus

Beitrag von Joschi » 15. Dezember 2008, 13:57

Okay, ein Vergleich zwischen Bert Hölldobler und ANTSTORE ist schonmal recht gewagt :) In diesem Fall widerspricht sich aber der Inhalt der beiden Texte nicht.

Camponotus herculeanus und ligniperda haben einen endogenen Rhythmus, per Definition also temperaturunabhängig. Das steht auch überall im Forum so, nicht nur in der Veröffentlichung. Sollte das ein Einsteiger lesen, ist es besser, das im Vorfeld klarzustellen. Ich habe eine Weile gebraucht, das auseinander zu klamüsern.

Worum es hier geht, ist speziell die Traubenbildung. Hölldobler klassifiziert sie als nicht signifikant temperaturabhängig. Das Paper ist zwar schon über vierzig Jahre alt, für Ameisen sollte sich in dieser Zeit aber nichts ändern. Ich werde mir mal die Methoden angucken, aber einem Namen wie Hölldobler sollte man da schon vertrauen können ;) Bin trotzdem gespannt auf Daten, die eventuell das Gegenteil zeigen.


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#16 AW: Endogener/exogener Jahresrhythmus

Beitrag von The_Paranoid » 15. Dezember 2008, 14:01

kurzes Zitat aus der Arbeit(Hölldobler, 1961) zum Thema Wintertraube
Die strenge Ueberwinterungstraube ist auch bei Camponotus ligniperda
temperaturbedingt, dennoch herrscht nach meinen Beobachtungen zur
Winterzeit bei Wärmekolonien (24°C-26°C) eine gewisse Traubenbildung
vor.

Diese bei ca. 25 °C gebildete Traube ist zweifellos nicht so kompakt
wie die Ueberwinterungstraube in der Kältestarre (es findet ja auch ein
Futteraustausch unter den Ameisen statt), jedoch stellt die Bildung einer
solchen Traube ebenfalls einen ,,Reaktionsrhythmus" dar. Ein ähnliches
Verhalten konnte ich auch bei einer kleinen Camponotus herculeanus-
Kolonie beobachten.


Von daher ist wohl auch bei warmer Überwinterung eine gewisse Traubenbildung vorhanden, bei Kälte jedoch deutlich ausgeprägter.



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