Ehrenkodex der Entomologischen Feldarbeit

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~Peter~
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#1 Ehrenkodex der Entomologischen Feldarbeit

Beitrag von ~Peter~ » 26. September 2005, 14:22

Ehrenkodex der Entomologischen Feldarbeit

Insekten und andere Gliederfüßer (Arthropoda) umfassen in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 36.000 Arten, das sind etwa 80 % aller hier lebenden Tierarten. Sie sind als Bestäuber von Pflanzen, als Regulatoren, in Nahrungsketten und durch den Abbau von organischen Substanzen von größter ökologischer Bedeutung und unersetzlich. Die Erhaltung einer für den jeweiligen Standort typischen Artenvielfalt ist die Voraussetzung für die Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes und für die Funktion von komplexen Lebensgemeinschaften, in die auch der Mensch integriert ist.
Arthropoden können, ebenso wie Wirbeltiere, effektiv nur durch die Bewahrung ihrer Lebensräume geschützt werden. Die aus der Wirbeltierkunde abgeleiteten Maßnahmen des Schutzes von Einzelindividuen sind bei Insekten aufgrund des hohen Vermehrungspotentials und der kurzen Lebensdauer Ökologisch nicht begründbar; sie dienen allenfalls der plakativen Befriedigung ethischer Bedenken. Es gibt bisher keinen authentischen Fall, in dem eine Insektenform (Art, Rasse, Population) durch entomologisches Sammeln ausgerottet wurde oder durch Sammelverbot gerettet werden konnte.
Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen für die Insektenfauna der verschiedenen Biotoptypen greifen jedoch nur auf der Basis guter faunistischer Kenntnisse. Unsere Kenntnisse ?über Formenvielfalt und Lebensweisen der Arthropoden sind noch weitgehend unzureichend. So sollen faunistische Bestandsaufnahmen dazu beitragen, den Rückgang der Artenvielfalt abzuschätzen und möglichst aufzuhalten. Dabei ist die Erstellung der "Roten Listen der gefährdeten Tierarten" ein wichtiges Mittel. Die zahlenmäßig wenigen Berufsentomologen sind allein nicht in der Lage, alle notwendigen Forschungsaufgaben wahrzunehmen. Die hohe Qualifikation von Freizeitforschern in der Artenkenntnis und ihre detaillierten Beobachtungen bilden eine unverzichtbare Grundlage für die weitere erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit und den Naturschutz.
Immer wieder wird die Frage gestellt, ob das Sammeln und Töten von Insekten in der heutigen Zeit noch vertretbar ist. Die Gefährdung von Arthropoda beruht jedoch fast ausschließlich auf der Vernichtung und Einengung ihrer Lebensräume, dem Rückgang vieler Pflanzenarten sowie derjenigen Tierarten, die Arthropoden als Wirte dienen. Die Ursache dafür liegt bei der immer intensiveren Nutzung der natürlichen Umwelt durch den Menschen. Mit ihr verbunden sind eine zunehmende Verbauung, chronische Vergiftungen der Böden und der Luft, nachhaltige Veränderungen des Wasserhaushaltes und ein stetig zunehmender Trophiegrad der Umwelt. Das Sammeln ist die einzige zuverlässige und nachvollziehbare Methode zur Dokumentation des Vorkommens von Arthropodenarten und dient der Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse, denn im Gegensatz zu den meisten Wirbeltieren lassen sich viele Arthropodenarten erst nach entsprechender Präparation bestimmen. Bestimmte rationelle Formen des Aufsammelns von Arthropoden mit Fallen sind für systematische, ?ökologische und naturschutzrelevante Untersuchungen unerläßlich. Jedes Sammlungsexemplar enthält eine Fülle wissenschaftlicher Informationen. Eine Sammlung stellt damit eine durch nichts ersetzbare Datenbank dar, in Sammlungen enthaltenen Typen sind Belegexemplare, die nach den "Internationalen Regeln zur Zoologischen Nomenklatur" die einzige objektive Definition der jeweiligen Art darstellen. Sie sind wissenschaftliches Kulturgut höchster Priorität. Ohne verantwortungsvolle Arbeiten zur Erfassung des Arteninventars werden wir bald nur noch oberflächlich über die Fauna und Flora unseres Landes informiert sein. Zwar werden dann offiziell auch keine Arten mehr aussterben, weil keiner sie kennt und es bemerkt, doch wird sich auch niemand rechtzeitig für den Schutz der bedrohten Lebensräume und ihrer Organismen einsetzen können.

Allgemeines
* Durch verantwortungsvolle Arbeiten zur Erfassung des Arteninventars und der ökolo-
gischen Ansprüche der Arthropoden werden von uns wichtige Grundlagen für die Erhaltung
ihrer Artenvielfalt gelegt.
* Soweit aufgrund der diffizilen Nachweis- und Determinationsmethoden bei Insekten
fachlich möglich, erfolgt die Erfassung des Arteninventars in der Reihenfolge Bestimmung
durch Beobachtung, Bestimmung durch Lebendfang bzw. Bestimmung durch Tötung und
Präparation.
* Soweit wissenschaftlich bei einzelnen Arthropodengruppen vertretbar, bevorzugen wir die
photographische oder gegebenenfalls die akustische Dokumentation des Vorkommens.
* Das Sammeln und Töten von Arthropoden ist für uns eine Grundlage zur fachlichen
Bearbeitung ?ökologischer, taxonomischer und naturschutzrelevanter Fragestellungen, dient
also wissenschaftlichen Zwecken.
* Das Sammeln von Tieren für rein kommerzielle Zwecke sowie die Verarbeitung von
Arthropoda zu "Kunstobjekten" sind ethisch nicht vertretbar und werden von uns abgelehnt.
* Wir entnehmen bei Aufsammlungen nur so viele Organismen der Natur, wie für den
jeweiligen wissenschaftlichen Zweck unbedingt erforderlich ist und ohne da? eine
Bestandsgefährdung der Art am Sammelplatz erkennbar wird.
* Ein wissenschaftlicher Fang von Individuen aus Vorkommen isolierter Populationen
gefährdeter, stark gefährdeter oder vom Aussterben bedrohter Arten wird vermieden.
Lebend bestimmbare, vom Aussterben bedrohte Arten werden bei größter Zur?ckhaltung
nurausnahmsweise und in wenigen wissenschaftlich gut begründeten Fällen getötet.
Gebietsweise muß auch ein generelles Fangverbot durchgesetzt werden. Bestandskontrollen
und gezielten Ma?nahmen zur Biotoppflege sollte jedoch nichts entgegenstehen.
* Ein besonderes Augenmerk wird auf die Förderung der Erfassung und Bearbeitung von
Insektengruppen, die bisher regional kaum, oder gar nicht Gegenstand faunistischer oder
Ökologischer Untersuchungen waren, gelegt.
* Wir streben an, das Ungleichgewicht zwischen der Intensität der Bearbeitung und der Zahl
der Bearbeiter von Großinsekten (Schmetterlingen, Heuschrecken, Laufk?fer, Libellen) und
Kleininsekten (viele Familien der Käfer, Zweiflügler, Hautflügler etc.) abzubauen.
* Seriöser Naturschutz kann nur mit ganzheitlichen Betrachtungen von Biozänosen betrieben
werden, daher bemühen wir uns in unseren Projekten, zus?tzlich zur Erfassung und
Bewertung der Insektenfauna begleitende Daten (Prädatoren, Symbionten, Biotopstrukturen,
Pflanzengesellschaften, Böden, Nutzungsformen etc.) zu erfassen oder deren Bearbeitung
durch Andere anzuregen.
* Der Einstieg von Laien in das umfangreiche Fachgebiet der Insektenkunde kann nur über
die Anlage von Vergleichs- bzw. Belegsammlungen erreicht werden. Wir sichern dem
fachlichen Nachwuchs jegliche Unterstützung zu, um auch künftig noch in der Lage zu sein,
entomologische Fragestellungen auf hohem fachlichem Niveau zu bearbeiten.

Zusammenarbeit mit Behörden und wissenschaftlichen Einrichtungen
* Die Entomologen des Naturschutzbundes Deutschland e.V. (NABU) arbeiten in Kenntnis
der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen (Bundesnaturschutzgesetz, Bundesarten-
schutzverordnung, EG- und Landesgesetzgebung sowie Rote Listen).

* Wir machen unseren Einfluß geltend, um eine Beseitigung erheblicher fachlicher Defizite,
wie sie zum Beispiel die Bundesartenschutzverordnung erkennen läßt, zu erreichen.
* Entomologen, die diesen Ehrenkodex durch ihre Unterschrift anerkennen, erhalten ein
Zertifikat des BFA Entomologie, welches Genehmigungsanträgen zum entomologischen
Sammeln beigefügt werden kann.
* Akute Gefahren für stark bedrohte oder vom Aussterben bedrohte Arten - zum Beispiel
durch Habitatzerstörung oder anderweitige Individuendezimierungen - werden, sobald
möglich, der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde und den örtlichen
Naturschutzverbänden mitgeteilt. ähnliches gilt für neu entdeckte Vorkommen der
betreffenden Arten, um ihren Lebensraum sichern zu können.
* Eine Weitergabe von Daten unterliegt den Bestimmungen des Eigentums- und
Urheberrechts. Sie hat ohne Einverständnis des Urhebers zu unterbleiben.
* Die Entomologen des NABU wirkenbei der Ausarbeitung und Präzisierung von Roten
Listen oder bei der Neufassung von gesetzlichen Bestimmungen aktiv mit und bringen ihre
Fachkenntnisse ein.

Sammeltechniken
* Es werden, soweit Artengruppe und Fragestellung es zulassen, die für die jeweiligen
Biotopstrukturen ökologisch verträglichsten Sammeltechniken ausgewählt. Dabei bleiben
die beim Sammeln zwangsläufig entstehenden Störungen im Lebensraum, insbesondere im
Hinblick auf die Beunruhigung von Wirbeltieren bei der Aufzucht ihrer Nachkommenschaft
oder die Zerstörung der Vegetation auf ein minimales Ausmaß beschr?nkt.
* Totholzlagerstätten, Steine, Mooslager und andere Biochorien werden so untersucht, da? ihr
ursprünglicher Zustand weitgehend wiederhergestellt wird und mindestens die Hälfte aller
derartigen Lebensstätten im Untersuchungsgebiet unbeeinträchtigt bleibt.
* Lebend determinierbare Arthropoden werden vor Ort registriert und unter schonenden
Bedingungen freigelassen. Die je nach Fragestellung wichtige Dekumentationspflicht des
Artennachweises bleibt davon unberührt. Die Pflicht zur schonenden Freilassung gilt auch
für alle nicht zu bearbeitenden Arthropoden, soweit die angewandten Methoden dies
zulassen.
* Spezifisch lockende oder automatische, todbringende Fangtechniken, zum Beispiel
bestimmte Lichtfangfallen oder Gelbschalen im Dauerbetrieb, werden nur dort eingesetzt,
wo dies ausdrücklich wissenschaftlich begründet und der Artbestand dadurch nicht
gefährdet ist.
* Unvermeidbare "Beifänge" werden, soweit möglich, Spezialisten zur wissenschaftlichen
Bearbeitung angeboten.
* Die durch Aufsammlung entnommenen Organismen werden unverschlüsselt mindestens mit
Fundort, Fangdatum und Sammlernamen versehen.
* Es wird angestrebt, die gesammelten Organismen und alle in diesem Zusammenhang
gewonnenen Angaben der wissenschaftlichen Auswertung, z.B. in Form von
Belegsammlungen und Veröffentlichungen, zugänglich zu machen. Mit der
wissenschaftlichen Bearbeitung durch andere verbundene Auflagen bestimmt der
Eigentümer.

Zucht und Wiederansiedlung
* Für Vergleichszwecke und zur Ermittlung der Variabilität einzelner Arten werden Zuchten
durchgeführt.
* Der Natur werden nur so viele Tiere des betreffenden Entwicklungsstadiums entnommen,
wie für den Zuchtzweck unbedingt notwendig und aufgrund des vorhandenen
Futterangebotes züchtbar sind.
* Bei Zuchten anfallende Parasitoide, Parasiten oder Prädatoren werden Spezialisten
?bereignet, mit den entsprechenden Daten zugänglich gemacht oder entliehen.
* Für den entsprechenden wissenschaftlichen Zweck nicht erforderliche gezüchtete Tiere
werden unter geeigneten Bedingungen am Ursprungsort ausgesetzt.
* Eine Wiederansiedlung von nachweislich lokal ausgestorbenen Arthropodenarten wird in
Zusammenarbeit mit den Behörden nur bei vorliegenden Möglichkeiten einer Entnahme von
Individuen aus nahestehenden intakten Populationen und wissenschaftlich begründeten,
guten Erfolgsaussichten vorgenommen. Eine Gefährdung der "Spenderpopulation" darf
nicht eintreten. Die Ergebnisse der Wiederansiedlung werden genauestens dokumentiert
(Herkunft des Materials, Datum, Anzahl der ausgesetzten und später registrierten Tiere).

Sammlungsverbleib
* Eine nach heutigem Sachstand angelegte Insektensammlung hat einen hohen wissenschaft-
lichen und kulturellen Wert. ?Ãœber das Engagement des Sammlers werden durch die Erfas-
sung, Präparation, Etikettierung und Determination zudem erhebliche materielle Werte
aufgebaut. Private Besitzer sind deshalb bestrebt, durch Schutz- und Pflegemaßnahmen die
biologischen Materialien optimal zu erhalten. Sie bemühen sich, nahestehende Familienmit-
glieder und wissenschaftliche Einrichtungen über einen späteren Verbleib ihrer Sammlung
zu informieren. Sammlungen, die Material enthalten, über das publiziert worden ist, sollten
im Allgemeinen an Museen gelangen oder solchen Institutionen zumindest angeboten
werden.


BFA Entomologie im Naturschutzbund Deutschland e.V. unter Mitarbeit von Dr. Wolfgang Vorbrüggen (AG Rheinisch-Westf?lischer Lepidopterologen e.V.), Dr. J?rgen Deckert und Prof. Dr. Peters (Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Klaus Horstmann (Theodor-Boveri-Insitut für Biowissenschaften der Universität Würzburg), Markus Roesler (NABU, BFA Landnutzung, BAG Streuobst), Dr. habil. Rudolf Thust (Th?ringer Entomologenverein im NABU), Heinz Schwan, Dr. Martin Sorg und Friedhelm Bahr (Entomologischer Verein Krefeld e.V.), Dr. Jörg Gelbrecht (Entomofaunistische Gesellschaft e.V. und Arbeitskreis Lepidoptera Berlin-Brandenburg).

Noch mal ein besonderes Dankeschöhn an Prof.Müller-Motzfeld, der mir erlaub hatt den Text hier ins Forum zu übertragen.



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