Chthonolasius Gründungsversuch
Vor drei Jahren habe ich auf Texel Urlaub gemacht, und als wir uns nach einem Tag am Meer aufgemacht haben um den Strand entlang der Dünen zu verlassen, fielen meinem Bruder und mir zahlreiche Ameisenköniginnen auf, die am Wegesrand aufgeregt umher eilten. Bei genauerem Hinsehen konnten wir erkennen, dass auch viele Arbeiterinnen von Lasius s. str. an dem Gewusel beteilligt waren.
Die Königinnen liefen agil zwischen den Arbeiterinnen umher, und immer öfter waren Königinnen dazwischen, welche Lasius-Arbeiterinnen zwischen den Mandibeln durch die Gegend trugen. Neugierig geworden sammelten wir eine der Königinnen ein, und bei meinen Recherchen wurde dann schnell klar, dass es sich um eine Vertreterin der Untergattung Chthonolasius handeln musste.
Alle Vertreter dieser Untergattung von Lasius gründen sozialparasitär, je nach Chtonolasius-Art kommen als Wirt dafür Arten der Untergattung Cautolasius und Lasius s. str. in Frage.
Mein Interesse an den Chthonolasius war geweckt, zumal man von ihnen eher weniger liest und sie wohl für einen Laien bei der Suche im Felde nicht von Lasius flavus zu unterscheiden sind. Sie haben auf jedenfall etwas Geheimnisvolles.
Es gibt inzwischen etwas an Literatur zum Thema, und es wurden auch schon mehrere Berichte über Gründungsversuche geschrieben, von daher will ich mich so kurz wie möglich in meinen vorhergehenden Ausführungen fassen, und in erster Linie berichten und dokumentieren. Gerne kann auch diskutiert werden im Diskussionthread!
Erwähnt sei an dieser Stelle Frank Mattheis aus dem Eusozial, der viele Beiträge zur sozialparasitären Gründung von Chthonolasius und Dendrolasius geschrieben hat. Seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen bilden die Grundlage für meine(n) Gründungsversuch(e). Nachzulesen sind die umfangreichen, praxisorientierten Abhandlungen von Herrn Mattheis zum Thema z.B. hier:
http://eusozial.de/viewtopic.php?f=26&t=12
Aus den Beobachtungen von ihm geht hervor, dass Chthonolasius kaum Erfolg bei einer reifen Lasius s. str.-Kolonie haben dürften, da diese sehr wohl Abwehrstrategien gegen den Sozialparasit entwickelt haben. Eine garantierte 100%-ige Erfolgsquote der Chthonolasius wäre auch für diese selbst nicht sinnvoll, da es dann auf Dauer keine Wirtsnester mehr geben würde.
Anders sieht die Sache bei kleineren Kolonien aus, speziell wenn diese nicht über größere, wehrhafte Arbeiter verfügen. Die Vorraussetzung, dass die Kolonie weisellos sein muss, sieht Mattheis bei Chthonolasius als nebensächlich an, da die Wirtskönigin, falls vorhanden, meist von ihren eigenen Arbeiterinnen getötet wird.
Die Planung wird konkret
Im Frühjahr diesen Jahres bot sich mir dann die Chance, eine weisellose, junge Lasius niger Kolonie zu übernehmen.
Die Kolonie dürfte einigen im Forum bekannt sein, sie stammt von Kalinova. Die Kolonie war auf einem sehr guten Weg, doch leider ist die Königin auf unerklärliche Weise gestorben. Der wirklich toll geschriebene Haltungsbericht von Kalinova, den ich jedem ans Herzen lege, findet sich hier:
https://www.ameisenforum.de/haltungsbericht-lasius-niger-2015-gegrundet-t54104.html
An dieser Stelle nochmal ein Dankeschön an Kalinova, dass die Kolonie für meinen Gründungsversuch abgegeben wurde

Versuchsaufbau
Bei den Überlegungen zum Aufbau des Versuches, war mir wichtig, dass die Königin eine Möglichkeit bekommt, ihr natürliches Verhalten zu zeigen. Für diesen Zweck habe ich mir überlegt, zwei Becken zu nutzen, die über einen ca. 40cm langen Schlauch miteinander verbunden sind.
Dabei soll das eine Becken die Peripherie, oder Nestumgebung darstellen. Das andere Becken soll das Nestbecken sein. So wurde es in die Praxis umgesetzt:
Das Becken links ist das Peripherie-Becken, rechts im Bild das Nestbecken mit dem RG, in welchem die weisellose Kolonie lebt.
Die Idee dahinter ist, dass eine Chthonolasius-Königin zunächst ins Perpherie-Becken gesetzt wird, und sich dort erstmal vom Fang beruhigen kann. Ausserdem habe ich die Hoffnung, dass sie feststellt, dass sie sich in der Nähe einer Wirtskolonie befindet, ohne gleich inmitten vieler Arbeiterinnen zu sein.
Heute habe ich festgestellt, dass Phil genau dieselben Gedanken in seinen Gründungsversuch vor einiger Zeit hat einfliessen lassen:
https://philipph.wordpress.com/2010/07/10/misslungene-grundung-einer-chthonolasius-sp/
Im Detail sehen die beiden Becken so aus: Peripherie:
Nestbecken:
Gesichert sind beide Becken mit Paraffinöl.
Wer suchet, der findet
Eine Sache fehlt bei dem Ganzen natürlich noch: Eine Chthonolasius-Königin. Suchen kann man sie meiner Erfahrung nach am besten gegen Abend (ab ca. 18-19 Uhr), bei ausgeprägt schwülem Wetter. Also bei Wetter wo man sich am liebsten gar nicht bewegen will, und schon gar nicht im Wald, wo einem stechwütige Fluginsekten auflauern.
Diese Herausforderungen auf mich nehmend, habe ich mich immer wieder in den letzten Wochen aufgerafft, und hab südwärts gewandte Waldränder abgesucht. Besonders eine Stelle, an welcher ich letztes Jahr eine Chthonolasius-Königin gefunden habe (aber keine Wirtskolonie hatte), schaute ich regelmäßig vorbei.
Gestern habe ich dann tatsächlich nur wenige dutzend Meter entfernt eine erste dealate Chthonolasius-Königin für meinen Versuch gefunden

Zuhause angekommen habe ich sie dann gleich in die Peripherie-Box gegeben.
Auf diesem Foto kann man gut ihre Mandibeln erkennen, die auf die sozialparasitische Gründungsart schließen lassen:
Die Königin hat dann auch gleich ihre Umgebung erkundet, und es dauerte nur wenige Minuten, bis sie den Eingang zur Schlachverbindung gefunden hatte. Bei der Beobachtung hatte mir dann wieder mein Bruder Gesellschaft geleistet, wie schon zuvor auf Texel.
Gespannt verfolgten wir, wie die Königin mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit durch den Schlauch bis zum Nestbecken sprintete. In diesem fouragierten nur sehr vereinzelt Arbeiterinnen, der Großteil der Kolonie weilte im RG. Nachdem die Königin ausgiebig in der Tränke gebadet hatte und sich geputzt hatte, begann sie im Nestbecken umher zu ziehen.
Es folgten erste Kontakte mit den Lasius niger-Arbeiterinnen, wobei beide stets zurückwichen und sich voneinander entfernten. Wir hatten den Eindruck, dass sich das Verhalten der Königin nun änderte, und sie lief in kleinen Schleifen im Becken umher. Plötzlich packte sie sich eine unglückliche Arbeiterin, welche ihren Weg kreuzte, tötete sie in einem schnellen Angriff, und trug sie in ihren Mandibeln umher:
Jetzt versuchte sie mit ihrem Fang das Weite zu suchen, doch das Paraffinöl hielt sie stets auf, und sie kam nicht auf die Idee durch den Schlauch die Arena zu verlassen. Bei ihren Versuchen sich von der Szenerie zu entfernen stieß sie nun immer öfter auf Lasius niger-Arbeiterinnen, die nicht sehr angetan davon waren, wie mit ihrer Nestgenossin verfahren wurde.
Nach einigen solcher Aufeinandertreffen, ließ die Königin ihre Beute fallen, und schien nur noch fliehen zu wollen. Dabei wurde sie von einer Arbeiterin am Bein festgehalten:
Wir entschieden uns, die Königin vorsichtig mit einer Federstahlpinzette wieder ins Peripherie-Becken zu setzen.
Im Nestbecken wurde die tote Arbeiterin von ihren Schwestern geborgen und vor dem RG Eingang regelrecht aufgebahrt:
Man hatte den Eindruck, dass nun immer mehr Arbeiterinnen wütend die Umgebung absuchten, um den Tod ihrer Schwester zu rächen:
Wir entschieden uns dafür, die Schlauchverbindung mit Watte zu verschließen, da die Situation sich zu sehr aufgeladen hatte, und wir waren uns ziemlich sicher, dass die Königin getötet werden würde, wenn wir sie ins Nestbecken ließen. Die Königin war allerdings ohnehin damit beschäftigt, sich der Arbeiterin zu entledigen, welche immer noch stoisch an ihrem Bein festhielt.
Zweiter Anlauf
Als ich dann heute von der Arbeit gekommen bin, habe ich die Schlauchverbindung wieder geöffnet. Die Arbeiterin, welche sich im Bein der Königin verbissen hatte, lag jetzt wie ein Krieger Spartas pflichtgetreu aber tot in einer Ecke des Peripherie-Beckens.
Diesmal ging die Königin ohne Umwege direkt ins RG. Sie bewegte sich zielgerichtet bis zum Wassertank vor, und verharrte zunächst dort. Einzelne Arbeiterinnen zerrten an ihr, aber bezogen auf die Anzahl der Nestbewohner, gab es nur geringen Widerstand:
Der aktuelle Stand nach ein paar Stunden ist jetzt, dass die Königin mitten im RG sitzt, und sogar ganz leicht physogastrisch wirkt

Ich wage keine Prognose wie die Situation morgen aussieht, für mich ist der Ausgang dieses ersten Versuchs völlig offen, und ich werde bei negativem Ausgang weiter nach Königinnen Ausschau halten, die Schwärmzeit von Chthonolasius hat ja gerade erst so richtig begonnen.
Gerne könnt ihr etwas in den Diskussionsthread zum Thema schreiben

https://www.ameisenforum.de/diskussionsthread-chthonolasius-grundungsversuch-t55114.html